Kundus-Prozess: Bonner Landgericht lässt bis 11 Dezember alles offen

Mittwoch, 30. Oktober 2013, 23:09
'Demonstration vor dem Bonner Landgericht. Foto: Martin Behrsing

‚Demonstration vor dem Bonner Landgericht. Foto: Martin Behrsing

Demonstranten fordern: Wanted Bundeswehrgeneral Georg Klein Wanted für Information zu seinem Wohnsitz – 100 Euro Belohnung

Von Martin Behrsing

Bonn – Lag 2009 ein schuldhafter Verstoß des Bundeswehr-Kommandeur Georg Klein gegen Amtsverpflichtungen zum Schutz der afghanischen Zivilbevölkerung vor, als er den Befehl gab, dass der von Taliban zwei gekaperten Tanklastwagen bombardiert wurde, bei dem es über 100 Tote der Zivilbevölkerung gab? Das ist derzeit die Aufgabe des Bonner Landgerichtes. Am Mittwoch stieg das Gericht in die Beweisaufnahme ein. Dabei wurden Videoaufnahmen und auch zum Teil Gesprächsaufzeichnungen ausgewertet. Derweil protestierten etwa 200 Menschen vor dem Bonner Landgericht. Die Organisatoren des Protests eine Entschädigung für die Hinterbliebenen und eine „Strafverfolgung der deutschen Kriegsverbrecher“. Der Angriff auf zwei von Taliban-Kämpfern gekaperte Tankwagen mit etwa 100 Toten war vor mehr als vier Jahren vom Bundeswehr-Kommandeur Georg Klein veranlasst worden. Ihm wurde Kriegsverbrechen vorgeworfen.

 

Demonstartion vor dem Bonner Landgericht. Foto: Martin Behrsing

Demonstartion vor dem Bonner Landgericht. Foto: Martin Behrsing

Bei der Videoauswertung im Bonner Landgericht ging es darum, ob die kleinen schwarzen Punkte auf der Leinwand Kämpfer der Taliban –  so die Position des Oberst Klein und der Bundesregierung –  oder Zivilisten waren. Dabei ging es heraus zu finden, was Bundeswehr-Oberst Georg Klein sah, als er im September 2009 den Befehl zu dem tödlichen Luftschlag von Kunduz gab. Zuvor hatten Talibankämpfer zwei Tanklaster gekapert, die dann aber auf einer Sandbank steckenblieben. Oberst Klein ordnete den Abwurf von Bomben an, bei dem mindestens Hundert umstehender Menschen starben. Dabei starben auch mehrheitlich Zivilisten. Zwei Angehörige fordern nun Schadenersatz von der Bundesrepublik Deutschland, auf den sie Anspruch hätten, wenn der Luftschlag rechtswidrig war. Das Bundesverteidigungsministerium hatte zuvor den Angehörigen etwa 3.400 Euro als Entschädigung angeboten und damit weitere Ansprüche ausgeschlossen.

Gericht bei Auswertung der Videomaterialien. Foto: Martin Behrsing

Gericht bei Auswertung der Videomaterialien. Foto: Martin Behrsing

Auf den Infrarot-Videoaufzeichnungen war eine langgestreckte Sandbank im Fluss zu sehen, auf der zwei Ansammlungen kleiner schwarzer Punkte (Menschen) waren gehen, die hin und her . Die Aufnahmen wurden aus rund 352 Meter Flughöhe und ca. 5 km seitlichen Abstand gemacht. Rund eine halbe Stunde wurde Bildmaterialbetrachtet und die von Kläger- und Beklagtenseite mitgebrachten Experten interpretierten die einzelnen Punkteäußerst unterschiedlich. Für die Klägerseite trat der ehemalige Bundeswehr Oberstleutnant Jürgen Rose auf, der die auf den Video gesehenen Menschenbewegungen für keine Gruppe von Menschen, die mit Gefechtsregeln Erfahrungen hatten hielt. Der von der beklagten Seite eingesetzte Experte hielt em entgegen, dass „die Taliban sind aber eine Guerillagruppe, die nicht klassisch ausgebildet“ sind. Bestimmte Gefechtsregeln würden aber erfahrene Guerillagruppen beachten, so Jürgen Rose von der Klägerseite. So wurde dann jede Bewegung auf dem Videomaterial unterschiedlich interpretiert. Einerseits militärisch geordnet, anderseits zivil.

Anwalt Mark Zimmer, für die Bundeswehr erklärte zum Abschluss. Dass niemand erkennen konnte, wer Zivilist und wer Kämpfer waren. Verständlich wären die Bilder aber nur durch andere Informationen. Besonders durch einen afghanischen Informanten, der der Bundeswehr gemeldet hatte, auf der Sandbank seien nur Aufständische, „und er hat daran auch auf siebenmaliges Nachfragen festgehalten“.  Für die Kläger sagte der Bremer Professor Peter Derleder, dass man nicht erkennen konnte, dass auch Kinder und Jugendliche auf der Sandbank waren und auch nicht zu sehen wäre, wer bewaffnet war und wer nicht. Deshalb sei aber auch nicht erkennbar, dass es sich hier um eine militärische Aktion der Taliban handelte und deshalb unverzügliches Handeln in Form eines tödlichen Bombenschlags erforderlich war. Unverantwortlich wäre es gewesen, dies nur auf Grundlage einer einzigen Quelle anzunehmen.

Der als Sachverständiger geladene Afghanistan-Experte Thomas Ruttig führte schließlich aus, dass die Taliban nur sehr selten in so großen Gruppen auftreten. Dies wäre in den ganzen Jahren des Natoeinsatzes nur 3-4 mal geschehen. Normal wär ein Auftreten im einstelligen Bereich.

Das Gericht wird am 11. Dezember, 12.00 Uhr mitteilen, ob es von fahrlässigem Verhalten Oberst Kleins ausgeht. Auf die Frage einer gütlichen Einigung wollte sich die Beklagtenseite, die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland nicht Einlassen. Vielmehr beharrt die Beklagtenseite, dass sie nicht in der Verantwortung sei, da dies ein Einsatz im Rahmen der Nato gewesen sei. Sollte das Gericht der Klägerseite folgen, wird es weitere Zeugenvernehmen geben.  Dazu zählen besonders Angehörige der Opfer aus Afghanistan und eventuell Bundeswehr-Kommandeur Georg Klein. Ob bei einer positiven Entscheidung im Sinne der Kläger, Georg Klein dann neue strafrechtliche Ermittlungen betreffen, bleibt derzeit offen. Die Demonstranten vor dem Bonner Landgericht bezeichnen ihn zumindest als Kriegsverbrecher und forderten entsprechende strafrechtliche Konsequenzen. Folgt das Gericht der Klägerseite nicht, geht der Prozess beim Landgericht Bonn nicht weiter.

 

Weitere Fotos: http://www.facebook.com/martin.behrsing?hc_location=timeline