NRW Energiearmut grassiert – Tendenz steigend. So das Ergebnis einer Umfrage der Verbraucherzentrale NRW bei den 110 Grundversorgern in Nordrhein-Westfalen. Nach Einschätzung von drei Viertel der 58 antwortenden Unternehmen sind wachsende Probleme rund um Energieschulden und Stromsperren festzustellen.
Die Zahlen sprechen für sich: In 2010 haben die befragten Energieunternehmen in NRW mehr als drei Millionen Mal die Zahlung von Stromrechnungen angemahnt. Nach 340.000 Sperrandrohungen folgte dann für 62.000 Kunden tatsächlich das Aus beim Saft aus der Steckdose. „Hochgerechnet auf alle 110 Grundversorger dürfte etwa 120.000 Haushalten der Strom abgedreht worden sein, bundesweit schätzungsweise sogar 600.000 Mal“, fasst NRW-Verbraucherzentralenvorstand Klaus Müller die alarmierende Bilanz wachsender Energiearmut zusammen. Wesentliche Ursache: Preissteigerungen von rund 15 Prozent bei Strom und Gas in den vergangenen zwei Jahren haben Energie für viele Haushalte zur unbezahlbaren Ware werden lassen. Ein Problem, das sich angesichts der prognostizierten Energiepreisentwicklungen künftig noch verschärfen wird. Obendrein machen immer knappere Haushaltsbudgets und die häufig mangelnde Kompetenz beim Planen der eigenen Finanzen Nachforderungen aus Energierechnungen schnell zur unüberwindbaren Kostenfalle.
„Zunehmende Zahlungsprobleme bei der Energieversorgung erfordern nachhaltige Lösungsansätze – im Interesse der betroffenen Kunden, aber auch der Energieversorger und der Kommunen“, sieht der Verbraucherzentralenvorstand akuten Handlungsbedarf. Zwar bietet eine Reihe von Unternehmen nach eigenen Angaben durchaus Hilfestellungen an, doch haben bislang erst wenige umfassende und auf Dauer angelegte Strategien zur Bekämpfung von Energiearmut im Programm: Gerade eine Handvoll Versorger setzt auf individuelle Angebote mit einer Kombination aus Energiesparberatungen sowie Existenzsicherungs- und Budgetberatungen.
Bei vielen Versorgern klafft hingegen derzeit noch eine Kluft zwischen wachsenden Außenständen einerseits und tragfähigen Maßnahmen andererseits, um den roten Zahlen der Kundschaft entgegenzuwirken. Immerhin verweisen 80 Prozent der antwortenden Unternehmen an eigene oder externe Energieberatungen, um durch Anregungen für sparsamen Verbrauch künftig Abschläge reduzieren oder Nachzahlungen vermeiden zu können. Innerhalb einer Abrechnungsperiode haben Stromkunden allerdings kaum einen Überblick über ihren Stromverbrauch: In der Regel werden sie darüber nur einmal im Jahr bei der Endabrechnung informiert. Somit bieten sich kaum Chancen, drohenden Nachzahlungen aus höherem Verbrauch und durch Preissteigerungen zu begegnen.
Jedoch: Wenn der Kunde, weil er regelmäßig den Zählerstand abliest, seinen aktuellen Verbrauch kennt, kann er seine monatlichen Abschlagszahlungen bei fast allen Versorgern (96 % der Befragten) jederzeit anpassen lassen. Diese Anpassung an einen gestiegenen Verbrauch, um hohe Nachzahlungen bei der Jahresendabrechnung zu vermeiden, erfolgt jedoch fast immer erst auf Wunsch des Kunden. Nur einzelne Versorger bieten diese von sich aus an.
Eine spitze Abrechnung des tatsächlichen Verbrauchs pro Monat, viertel- oder halbjährlich, um Schockstarre beim Erhalt der Jahresrechnung endgültig auf Eis zu legen, bietet nur knapp die Hälfte der befragten Unternehmen überhaupt an. Davon lässt sich ein Viertel diesen Service zusätzlich entlohnen: Bei einer monatlichen Abrechnung können da schon mal 170 Euro neben der Stromrechnung anfallen.
Bleiben Zahlungen aus, sieht das Mahnwesen der Versorger NRW-weit ganz unterschiedliche Maßnahmen vor: Während 22 Prozent der Unternehmen vor der Stromsperre routinemäßig Ratenpläne zur Schuldenregulierung anbieten, gibt es das Abstottern bei 40 Versorgern (70 % der Befragten) nur, wenn der Kunde gezielt danach fragt. Wer mit einer Ratenvereinbarung die drohende Stromsperre abwenden will, hat zudem oftmals hohe Hürden zu nehmen: Vielfach bieten die Versorger hierbei nur sehr kurze Laufzeiten von weniger als sechs Monaten an (rund 30 %), wird das Abstottern nur in begründeten Ausnahmefällen bewilligt (14 %) oder nur bei Zahlung hoher Mindestraten bis zu 30 Euro erlaubt (12 %). Knapp 10 Prozent berechnen bei Ratenvereinbarungen sogar zusätzliche Gebühren oder Zinsen.
„Manche Versorger ermöglichen Ratenzahlungen aber auch erst, wenn das Jobcenter aktiv wird“, sieht der NRW-Verbraucherzentralenvorstand derzeit noch viel Verbesserungspotenzial, um Energieschulden frühzeitig zu begegnen und praktikable Lösungen für betroffene Kunden zu finden. Dass das geht, stellen kundenorientiert immerhin schon 16 Prozent der antwortenden Versorger unter Beweis: Sie gestatten bei Ratenzahlungen auch Laufzeiten über zwölf Monate hinaus; 28 Prozent zeigen sich in besonderen sozialen Härtefällen sogar noch großzügiger.
Erfreulich: 84 Prozent der Versorger kooperiert nach eigenen Angaben mit Jobcentern oder Sozialämtern, um Verbindlichkeiten zu regeln. Bei den Kooperationen geht es allerdings in erster Linie darum, offene Rechnungen zu bezahlen und künftige Abschlagszahlungen zu sichern. „Doch wenn Stromschulden dann auf Darlehensbasis übernommen werden, sind zwar akute Engpässe kurzfristig überbrückt, aber die grundsätzlichen Zahlungsprobleme der Betroffenen längst nicht gelöst. Ganz im Gegenteil: Wenn die Raten fürs Darlehen monatlich von den Regelleistungen abgezogen werden, erschwert das die pünktliche Zahlung der Abschläge. Mit einem Paket aus Energiespar-, Existenzsicherungs- und Budgetberatung bieten vier Versorger in der Umfrage neben der Soforthilfe vorbildliche Ansätze, um Energiefresser und Kostentreiber zu entlarven und damit eine häufige Ursache für die roten Zahlen an der Wurzel zu packen“, sieht Klaus Müller dieses Quartett auf einem zukunftsfähigen Weg: „Frühzeitiges Forderungsmanagement gepaart mit sorgfältiger Budgetplanung, orientiert an den Möglichkeiten des Kunden, sowie gute Vernetzung vor Ort machen die Vorzüge dieser Best-Practice-Modelle aus.“
Unter Federführung des NRW-Wirtschaftsministeriums diskutieren im Landesarbeitskreis „Energiearmut“ derzeit das Verbraucherschutzministerium NRW, zahlreiche örtliche Grundversorger, die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung und die Verbraucherzentrale NRW praktikable und gleichzeitig kundenfreundliche Ansätze, um wachsender Energiearmut zu begegnen. Beim Fachkongress „Kalt erwischt – Energiearmut in Nordrhein-Westfalen“ des Verbraucherschutzministeriums sollen am 28. März 2012 „Best-practice-Modelle“ vorgestellt werden.
Die Ergebnisse der Energieversorger-Befragung zu Energiearmut können unter presse@vz-nrw.de angefordert werden
TIPP: Mit Stromkosten in den Miesen? Vermeiden, verhandeln, Verbrauch verringern